W E B S A I T E N  -  LOCOMOTOS Blog

Sonntag, 27 Mai 2018 06:26 geschrieben von

Locomoto kreuxt seine langgliedrigen Pfoten mit den fragilen Gelenken. Verschmitzt legt er die fledermausgroßen Ohren etwas zurück, blinzelt, spricht zu den sonnenäugig von ihm beleuchteten Schreibern und Textern.
So vernehmt: Ein Schreiber versendet Flaschenpost, vertraut der Bewegung von Wassern und wanderndem Sand, den ruhelosen Lüften, vertraut auf Melos, der eine Nachricht belebt. Eine geheimnisvolle Zeitgleiche und Intimität blühen zwischen Schreiber und seinem Leser, der den Schreiber irgendwo findet, an einer sonderbaren Stelle, wo dieser Schreiber vielleicht nie gewesen ist. Schreiber kann den Schneeschlaf vom Winter teilen mit seinem Leser unter dessen Junisonne.
Das sprachliche Zeichen hat eine Inhaltsseite (signifié) und seine Ausdrucksseite (signifiant)1. Die beiden Seiten sind von einander nicht zu trennen und sind  zusammen Schreibermetier. Es verhält sich wie ursprünglich und anders als bei den Textern. Für Texter ist die Ausdrucksseite des Zeichens eher ein flüchtiger Schatten, weil die Zeichen, die Inhalte im Netz systematisch beschreiben, logisch definiert werden, Inhalts-und Ausdrucksseite hier sich überlagern können, das sprachliche Zeichen tendenziell herabgebrochen wird auf die Zahl, die eindeutig ist und abstrakt. Ungleiche Brüder von Schreibern: die Texter flöten für eine Zielgruppe, auf die sie es gerade abgesehen haben. Sie sind weniger der Wortmusik ergeben als daran interessiert, dass eine Kobra auf die Signale hört. Beschäftigen sich meist mit der Schlange. Dennoch keine spürbare Liebe. Texter versuchen der Schlange, der See, den Massen ihren Willen einzupflanzen. SEO-Texte, ein eigenes Genre, becircen das Ungeheuer Suchmachine.


1 nach Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. De Gruyter, Berlin 1967

Freitag, 11 Mai 2018 10:00

Franz Norbert Mennemeier, Der Schatten Mishimas, Eine Spurensuche.

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Diese hier zählt zu meinen aposteriorischen Kritiken. Es handelt sich um eine überarbeitete Fassung eines älteren Texts. Sie wird ihrem Leser erst zum Vergleichen interessant, wenn er den Roman schon gelesen hat und sich vergewissern möchte, was ihm geschehen ist.

„Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen…“ (Ludwig II von Bayern 1)

Franz Norbert Mennemeier, Der Schatten Mishimas, Eine Spurensuche. Igel Verlag, Oldenburg, 2007

Es hat etwas Schwefliges, wenn Menschen aus dem Bewusstsein von anderen Menschen verschwinden. Es hat etwas, das schweflig haucht, während es verschwimmt, vage von einer Katastrophe, von Verbrechen und von Skandal. Das scheint so, gerade weil es nicht nur natürlich ist, sondern weil es hinzu gewollt und nützlich für Andere wirkt, dass jemand nicht mehr für sich sprechen, nicht mehr lebendig, unberechenbar, noch abweichend von sich, sich frei aussprechen kann, stattdessen absinkt hinunter in ozeanische Vergessenstiefe.

Freitag, 11 Mai 2018 09:17

Franz Norbert Mennemeier, Der Schatten Mishimas, Eine Spurensuche. Rezension 2

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Fichte liest der Leiter der Untersuchung im Fall Leonard Fichte nicht selber. Weshalb nicht das Nächstliegende? Es ist aus numinosem Grund, des Nebels wegen, der in Flußauen häufig einfallen soll und den Namen der japanischen Opferangetrauten verschlingt.

Es rollt der Text dahin, greift alle die heterogenen Impulse, Funken bisweilen- gleichviel, neben- und nacheinander, ES-Dur- rheinisch: mit weiten Armen und zugleich bien aristocrat, souverän fortwellend, herschlagend ohne jede kleinliche Wendung. Gelehrtenrede, Freund Stierle, fährt voran, nach Fichte befragt, erinnert sich Stierle an seinen weit fort getriebenen Freund, Stierle deutet den sternfahlen Himmel des Anderen, zäumt dessen vermeintliches Geschick aus fragmentarisch ihm bekannten, gedanklichen Konstellationen auf, doch sagt der Vertraute weitausholend, vornehm- nichts, nichts Unerhörtes. Zumindest ist, was Stierle da sagt, nicht verwilderter als das, was ohnedies meist schon seit einiger Zeit geschrieben, zugänglich und in unbedenklichem Zustand in der Bibliothek steht und lehnt. Exaltationen halten sich nicht auf in einer Bibliothek. 

Stierle deckt seinen melancholischen Spieler, um den Preis, dass der als Artefakt unvermutet wiederauflebt. Als Luftbild gelesen, heben sich die Umrisse der Maske ab vom Text. Der Autor stellt den Originalton nicht her, wenn jemand redet. Seine Figuren scheinen figural. Wie schon bei Beardsley sind sie typisiert. Sie sind komponiert und gebannt von abstrakten, graphischen Wirksamkeiten. Bekanntlich hat der früh tote und mangels Lebenszeit zwangsläufig manieristische Illustrator Beardsley einen Spagat gemacht zwischen asiatischer und abendländischer Darstellung.

Dennoch scheint etwas unfassbar und ganz unerhört!

Der Universitätslehrer war verschwunden. So einfach zu verschwinden hat sich schon nicht gehört für ihn, für seine elegante, maßanzügliche Erscheinung. Wie ein Berber einfach sich in Luft aufzulösen! Das hat dann doch die bürgerliche bienséance am Fachbereich und überhaupt die in der bieder beschaulichen Stadt am Fluß gestört.

Eilig verheiratet mit einer namenlosen (Freude) und tot und angefressen von den Fischen, behauptet Fichte in persona und davon unbeeindruckt.

Studentengewoge, naturtrüb Schwärmende, beschleunigen da und dort das Tempo der Prosa. Akademische Jugend und ragazzi di vita schwatzen, dass es scheint, als verwechselten die sich. (Kann sein, dass man sich faunisch auch hinlegt vorm Herrntext. Der Textherr kämmt bisweilen einzelne Partien durch marginale Bemerkungen. Fichtes Setzlinge in den Seminaren und Schösslinge auf der Straße geben sich erkenntnisinnig strahlend.) Silbrig und ruhelos fließt indirekte Rede, wechselt mit widerständig eingestreuten, lauter sich kräuselnden Redetälern: Vera, Ellen, Felicitas, Susanne, Gertrud, Hanna, etwa die Rheintöchter im Amtszimmer? Der Inspektor mit einem Namen, der so ähnlich klingt wie der eines asiatischen Kochgeschirrs, flacher Topf mit rundem Boden, tappt nach der Wahrheit als gälte es sein eigenes Modell. Eine Hurenschnulze gleißt katzengoldig übers lockende Strömen oder eine Ahnung davon entsteht und vergoldet die Zeichen, unsichtbar golden aber. Es ist ein ironisch verfasster Autor, der entbundene Strukturen hinwirft: Fläche, Bewegung. Er malt nicht, wie das Licht farbig sich bricht. Den interessiert stärker der Prozeß, wie Wahrheit glitzernd zerspringt und flieht.

Auch ist es mit diesem Buch, wie wenn die Ampel am Bett unversehens durch einen Luftzug verlischt und Nachtgeräusche die Herrschaft in ihrem Element antreten.

Es grollt der Text. Das schleifende Großgeräusch wandernd raunenden Flusses erzählerisch, versucherisch schwillt es herauf.

Die nächtigblinde Aufführung enthält den schweigenden Gesang der Maske. Den gilt es zu bergen, selbst wenn der flüchtig durch diese immer wieder verschwebt.

Maske ist Fichtes junger ehelicher Kontrapost. Maske ist auch, dass der Text hie und da plötzlich stärker archäologische und verblassend kriminalistische Züge annimmt.

Leser erfahren und Leser erfahren nicht, was mit dem spannend asymmetrisch komponierten Paar geschehen ist.

Zuweilen wirbeln wolkig vom Grund herauf: aufgepeitschter Zeugungsschlamm, pädagogischer Eros und der andere. Es gibt Unterströmungen- natürlich, Rheinlaunen.

Die Textspur unaufhaltsam, von unten und von oben das flirrende Band

Ziehende Wolken berühren den Fluß, werfen ihre Schatten, die einen frösteln oder lachen machen. Winters gibt er sich achatgrau, undurchdringlich. Dann verschmäht er das Licht.

In einer kalten Winternacht ist Leonard Fichte, Literaturwissenschaftler, Universitätsprofessor, damals entwichen.

Nach einer Weile schwemmt der Rhein ein Aas ins Schilf. Der angespülte Kadaver ist so tot, dass sogar die Todesursache nicht mehr weggerafft ist.

Für eine kurze Weile, zögernd noch vorhanden ist die fernöstliche Krafttrainierte schon Witwe Fichtes, bevor auch sie in Eile verduftet.

Ihre Gestalt scheint übers Flußschlängeln getuscht, ein einziges opakes Zeichen und zugleich die rasend schnell eingeschaltete Bilderserie von einer aufs Gesicht stürzenden Frau. Verlangsamte man die abgründig in eins brechenden Aufnahmen, gewahrte man, dass das fremde, stumme Knabenmädchen, militante Mignon, nachtflutendes Schwarzhaar, hoher athletischer Wuchs, sich abfängt, kunstvoll körperbeherrscht. Die Maske bleibt heil. Wie es um die Frau steht, ist ein gehütetes Geheimnis.

Aber ihre Erscheinung kündet vom Jüngling Mishima, Mishima O-Sensei.

Der Autor hat ein spezifisches Verhältnis zum Visuellen entwickelt. Die großen Aussagen sind augensinnlich eingeschrieben, rücken vom inhaltlich Bezeichneten ab, um zu diesem, wie biegsames Rohr zurückzuschnellen.

In der abrupt verlassenen, seither träumend hinsterbenden Wohnstatt des Ehepaars Fichte finden sich Hinweise, dass Mishima von den verschollenen Bewohnern gelesen worden ist. Es ist der einzige irgend verwendbare Schlüssel, sofern der aufgehoben, erwogen, gedeutet wird.

Am Himmel steht der Morgenstern zugleich Abendstern. Venus spiegelt sich verloren im Fluß... Fichtesche Konstellation.

© Locomoto kritzelt 2018