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Freitag, 11 Mai 2018 09:17

Franz Norbert Mennemeier, Der Schatten Mishimas, Eine Spurensuche. Rezension 2

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Fichte liest der Leiter der Untersuchung im Fall Leonard Fichte nicht selber. Weshalb nicht das Nächstliegende? Es ist aus numinosem Grund, des Nebels wegen, der in Flußauen häufig einfallen soll und den Namen der japanischen Opferangetrauten verschlingt.

Es rollt der Text dahin, greift alle die heterogenen Impulse, Funken bisweilen- gleichviel, neben- und nacheinander, ES-Dur- rheinisch: mit weiten Armen und zugleich bien aristocrat, souverän fortwellend, herschlagend ohne jede kleinliche Wendung. Gelehrtenrede, Freund Stierle, fährt voran, nach Fichte befragt, erinnert sich Stierle an seinen weit fort getriebenen Freund, Stierle deutet den sternfahlen Himmel des Anderen, zäumt dessen vermeintliches Geschick aus fragmentarisch ihm bekannten, gedanklichen Konstellationen auf, doch sagt der Vertraute weitausholend, vornehm- nichts, nichts Unerhörtes. Zumindest ist, was Stierle da sagt, nicht verwilderter als das, was ohnedies meist schon seit einiger Zeit geschrieben, zugänglich und in unbedenklichem Zustand in der Bibliothek steht und lehnt. Exaltationen halten sich nicht auf in einer Bibliothek. 

Stierle deckt seinen melancholischen Spieler, um den Preis, dass der als Artefakt unvermutet wiederauflebt. Als Luftbild gelesen, heben sich die Umrisse der Maske ab vom Text. Der Autor stellt den Originalton nicht her, wenn jemand redet. Seine Figuren scheinen figural. Wie schon bei Beardsley sind sie typisiert. Sie sind komponiert und gebannt von abstrakten, graphischen Wirksamkeiten. Bekanntlich hat der früh tote und mangels Lebenszeit zwangsläufig manieristische Illustrator Beardsley einen Spagat gemacht zwischen asiatischer und abendländischer Darstellung.

Dennoch scheint etwas unfassbar und ganz unerhört!

Der Universitätslehrer war verschwunden. So einfach zu verschwinden hat sich schon nicht gehört für ihn, für seine elegante, maßanzügliche Erscheinung. Wie ein Berber einfach sich in Luft aufzulösen! Das hat dann doch die bürgerliche bienséance am Fachbereich und überhaupt die in der bieder beschaulichen Stadt am Fluß gestört.

Eilig verheiratet mit einer namenlosen (Freude) und tot und angefressen von den Fischen, behauptet Fichte in persona und davon unbeeindruckt.

Studentengewoge, naturtrüb Schwärmende, beschleunigen da und dort das Tempo der Prosa. Akademische Jugend und ragazzi di vita schwatzen, dass es scheint, als verwechselten die sich. (Kann sein, dass man sich faunisch auch hinlegt vorm Herrntext. Der Textherr kämmt bisweilen einzelne Partien durch marginale Bemerkungen. Fichtes Setzlinge in den Seminaren und Schösslinge auf der Straße geben sich erkenntnisinnig strahlend.) Silbrig und ruhelos fließt indirekte Rede, wechselt mit widerständig eingestreuten, lauter sich kräuselnden Redetälern: Vera, Ellen, Felicitas, Susanne, Gertrud, Hanna, etwa die Rheintöchter im Amtszimmer? Der Inspektor mit einem Namen, der so ähnlich klingt wie der eines asiatischen Kochgeschirrs, flacher Topf mit rundem Boden, tappt nach der Wahrheit als gälte es sein eigenes Modell. Eine Hurenschnulze gleißt katzengoldig übers lockende Strömen oder eine Ahnung davon entsteht und vergoldet die Zeichen, unsichtbar golden aber. Es ist ein ironisch verfasster Autor, der entbundene Strukturen hinwirft: Fläche, Bewegung. Er malt nicht, wie das Licht farbig sich bricht. Den interessiert stärker der Prozeß, wie Wahrheit glitzernd zerspringt und flieht.

Auch ist es mit diesem Buch, wie wenn die Ampel am Bett unversehens durch einen Luftzug verlischt und Nachtgeräusche die Herrschaft in ihrem Element antreten.

Es grollt der Text. Das schleifende Großgeräusch wandernd raunenden Flusses erzählerisch, versucherisch schwillt es herauf.

Die nächtigblinde Aufführung enthält den schweigenden Gesang der Maske. Den gilt es zu bergen, selbst wenn der flüchtig durch diese immer wieder verschwebt.

Maske ist Fichtes junger ehelicher Kontrapost. Maske ist auch, dass der Text hie und da plötzlich stärker archäologische und verblassend kriminalistische Züge annimmt.

Leser erfahren und Leser erfahren nicht, was mit dem spannend asymmetrisch komponierten Paar geschehen ist.

Zuweilen wirbeln wolkig vom Grund herauf: aufgepeitschter Zeugungsschlamm, pädagogischer Eros und der andere. Es gibt Unterströmungen- natürlich, Rheinlaunen.

Die Textspur unaufhaltsam, von unten und von oben das flirrende Band

Ziehende Wolken berühren den Fluß, werfen ihre Schatten, die einen frösteln oder lachen machen. Winters gibt er sich achatgrau, undurchdringlich. Dann verschmäht er das Licht.

In einer kalten Winternacht ist Leonard Fichte, Literaturwissenschaftler, Universitätsprofessor, damals entwichen.

Nach einer Weile schwemmt der Rhein ein Aas ins Schilf. Der angespülte Kadaver ist so tot, dass sogar die Todesursache nicht mehr weggerafft ist.

Für eine kurze Weile, zögernd noch vorhanden ist die fernöstliche Krafttrainierte schon Witwe Fichtes, bevor auch sie in Eile verduftet.

Ihre Gestalt scheint übers Flußschlängeln getuscht, ein einziges opakes Zeichen und zugleich die rasend schnell eingeschaltete Bilderserie von einer aufs Gesicht stürzenden Frau. Verlangsamte man die abgründig in eins brechenden Aufnahmen, gewahrte man, dass das fremde, stumme Knabenmädchen, militante Mignon, nachtflutendes Schwarzhaar, hoher athletischer Wuchs, sich abfängt, kunstvoll körperbeherrscht. Die Maske bleibt heil. Wie es um die Frau steht, ist ein gehütetes Geheimnis.

Aber ihre Erscheinung kündet vom Jüngling Mishima, Mishima O-Sensei.

Der Autor hat ein spezifisches Verhältnis zum Visuellen entwickelt. Die großen Aussagen sind augensinnlich eingeschrieben, rücken vom inhaltlich Bezeichneten ab, um zu diesem, wie biegsames Rohr zurückzuschnellen.

In der abrupt verlassenen, seither träumend hinsterbenden Wohnstatt des Ehepaars Fichte finden sich Hinweise, dass Mishima von den verschollenen Bewohnern gelesen worden ist. Es ist der einzige irgend verwendbare Schlüssel, sofern der aufgehoben, erwogen, gedeutet wird.

Am Himmel steht der Morgenstern zugleich Abendstern. Venus spiegelt sich verloren im Fluß... Fichtesche Konstellation.

Letzte Änderung am Montag, 21 Mai 2018 12:35

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